Bikini Oberteil

Vierzig Jahre in Gefangenschaft – das muss man sich mal vorstellen. Ich rede hier nicht von Biografien unrechtmäßig Inhaftierter, nein, dieser Gedanke kam mir auf der Ferienrückreise vom Süden nach Hamburg – und bezieht sich auf meinen Busen. Hä? Ok – ich gehe mal davon aus, dass jede Frau zu diesem Körperteil eine ganz spezielle Beziehung hat. Vielleicht war auch besonders in meiner Generation die Veränderung des Körpers während der Pubertät häufig mit Scham, Unwissen, Schweigen gekoppelt. Ich erinnere mich, dass meine Mutter (Jahrgang 1926) mich, knapp 15-jährig, schräg von der Seite ansah und fast erschrocken meinte: „Na, da wird es ja Zeit, dass wir mal in die Stadt gehen und Dir einen Büstenhalter kaufen.“ Nichts weiter, ich kam mir vor, als sei ich plötzlich ein Sicherheitsrisiko für Moral und Anstand oder hätte einen Makel, den es nun zu verstecken galt. Ernsthaft, so war´s.

Husch, husch – ins Körbchen

Dieses Ereignis wurde ansonsten nicht weiter kommentiert, es war eher ein Geheimkommando der weiblichen Truppe unserer Familie, natürlich bekamen weder mein Vater noch mein Bruder etwas davon mit. Im örtlichen Wäschegeschäft wurde ich mit zwei weißen BHs ausgestattet, die ich fortan wechselweise trug. Und zwar immer! Als mich meine Mutter kurz darauf beim Zubettgehen antraf, brach sie in schallendes Gelächter aus: Ich trug den BH auch unter dem Schlafanzug – nicht aus Stolz, ich war einfach davon ausgegangen, das sei Pflicht. Vor einigen Jahren fand ich diese Episode noch sehr lustig, inzwischen bleibt mir das Lachen im Hals stecken, wenn ich daran denke: Wie gründlich hatte ich die Lektion gelernt, dass mein Busen bitte unsichtbar zu sein hat?

Im Minimizer auf die Wiesn

Kein Wunder, das ich meine Brüste nie positiv betrachten konnte, mir waren meine relativ große Oberweite stets unangenehm. Bei Freundinnengesprächen wurde mir schon Koketterie vorgeworfen, wenn ich auf Kommentare wie „ich hätte auch gerne ein bisschen mehr Busen, so wie Du“ verwundert reagierte und beteuerte, dass ich meine Oberweite regelrecht hasste. Dass ich da eventuell eine echt schräge Bodypositivity-Bilanz habe, merkte ich vor einigen Jahren auf dem Oktoberfest bei „Regines Damenwiesn“: Man war unter sich, die Stimmung ausgelassen, und als ich beim obligatorischen Dirndl-Vergleich auf das Kompliment für mein hübsches Dekolleté erwiderte, ich trüge einen Minimizer-BH, kriegte sich die Tischrunde nicht mehr ein vor Lachen. Inzwischen glaube ich tatsächlich, ich bin die einzige Frau weltweit, die unter ihrer Dirndlbluse einen Minimizer in Größe 75 D anzog.

Späte Einsicht

Es hat wirklich Jahrzehnte gebraucht, bis sich das Verhältnis zu meinem Körper auf ein Normalmaß eingeruckelt hat. Inzwischen schaue ich jedoch sehr viel liebevoller auf mich – und trage sogar enge T-Shirts, ein echtes Novum seit circa 10 Jahren. Und Bikini! Eben jenen hatte ich unter der Bluse an, als ich mich auf der Urlaubrückreise befand. Wir hatten noch die Mittagssonne am spanischen Hotelpool genossen, bevor wir uns auf den Weg machten. Nach einer Stunde merkte ich, dass der Knoten des Bikinioberteils zwischen meinen Schulterblättern zum echten Problem wurde. Leute, man kann sich wirklich kaum vorstellen, dass ich bestimmt eine halbe Stunde nach einer Lösung grübelte, bis ich – kreisch – das Oberteil einfach auszog! Und den Rest des Tages „ohne“ ging, weil es sich sehr ungewohnt, aber eben auch sehr gut anfühlte. Ok, die meiste Zeit saß ich im Auto, aber es gab Pausen an Raststätten, auf denen ich schräge Blicke fürchtete – die natürlich ausblieben. Bis wir uns abends beim Stop-Over in Frankreich im Hotel erfrischten, um zum Dinner ins Dörfchen zu schlendern, war ich ein Mensch mit einem revolutionierten Körpergefühl. Den ganzen Abend hatten meine Boobs Ausgang! Und den werde ich meinem Busen ab jetzt öfter mal gönnen.

Natürlich weiß ich, dass das empfindliche Bindegewebe sich über die Unterstützung eines guten BHs genauso freut wie über spezielle Pflegeprodukte und ein gezieltes Oberkörper-Training. Ich trage auch längst nicht mehr ausschließlich Minimizer, sondern gönne mir schöne Wäsche, meistens aus dem Fachgeschäft, und lasse mich in zeitlichen Abständen neu vermessen, da üblicherweise alle 3-5 Jahre ein “Update” ansteht.