Die Ankunft im Hafenstädtchen Capestang ist schon wieder so ein Miniaturroman, herrlicher geht’s kaum. Freundlich werden wir in der Capitainerie eingewiesen, dann schlendern wir über die malerische Brücke in den kleinen Ort und finden uns in einer Kulisse wieder, als käme gleich Louis de Funès um die Ecke. Der Marktplatz ist an diesem Samstagabend belebt, eine Band macht ihren Soundcheck, wir studieren die unterschiedlichen Charaktere von Kellnern, Familien, Lokalmatadoren. Ich besichtige die wunderschöne gotische Kirche Collegiàle St. Etienne und verharre nachdenklich an der Gedenktafel, die besagt, dass im Juni 1944 genau 179 Männer des Dorfes von Mitgliedern der SS verschleppt wurden. Die alte Dame, die sorgsam den Kirchenraum putzt, fragt mich nach meiner Herkunft…und ich achte noch mehr als sonst darauf, keinen schlechten Eindruck zu hinterlassen. Wir haben uns zum Abendessen ein besonders hübsches Gartenlokal ausgesucht und verbringen wunderbare Stunden im „Table du Vigneron“, bevor wir uns unter das Konzertpublikum auf dem Marktplatz mischen. An diesem Abend sind wir Teil einer Dorfgemeinschaft, lauschen den ziemlich schrägen 80s-Covers der Band und sind einfach dankbar für den Moment.
Wir fahren weiter und wissen, heute haben wir eine lange, ruhige Strecke vor uns. Wir sind überwältigt vom Ausblick auf die nicht enden wollenden Reihen von Rebstöcken, freuen uns über die Entdeckung eines kleinen Eisvogels im Ufergebüsch, sprechen über die Wiederaufforstung der zum Teil dramatisch durch einen Pilz reduzierten Platanenalleen. Vor 15 Jahren war das Ufer des Canal du Midi nahezu überall dicht bewachsen, nun versucht man eine Regeneration.
An den Anlegestellen kommt es immer wieder zu Begrüßungen von anderen Hausbootpassagieren, die die selbe Route befahren. Man kennt sich bereits, das erzeugt eine diffuse Kollegialität. Die entgegenkommenden Hausboote werden selbstverständlich ebenfalls begrüßt, hier weiss man jedoch, dass man nicht mehr aufeinandertrifft, und sofort erlischt der Eindruck der Begegnung. So einfach kann ein Gefühl der Zugehörigkeit entstehen, und dadurch Empathie. Diesen Gedanken hänge ich noch nach, als wir in Argèns in die Locaboat-Station einfahren, gerade als das Wetter umschlägt und wir einen stürmischen Regenschauer erleben. Den Aufenthalt in dem total unspektakulären Ort, etwas zu überschwänglich vom Bootsvermieter umschrieben, haben wir trotzdem in bester Erinnerung, und das liegt wieder einmal am – Essen. Inzwischen sind wir im Blitztempo aus kulinarischer Überzeugung zu Extra-Frankophilen mutiert. Und glauben übrigens auch, dass die Regel, in Monaten ohne R keine Muscheln zu verspeisen, von irgend jemandem aufgestellt wurde, der eben NICHT in Frankreich war. Uns schmecken sie jedenfalls auch in der letzten Augustwoche. Heute in dem bezauberndem Restaurant „La Guinguette“ als üppige Vorspeise Mouclade, in Weißwein-Currysahne, besonders gut. Am Nebentisch und wie immer in Bestlaune – unsere Schleusenfreunde aus der Schweiz!
Liebe Heike,
Deine Reisebeschreibung ist so schön, dass ich gleich an Bord gehen könnte.
Euch noch schöne Ferien und liebe Grüße auch an Tom
Claudia
PS schaue gleich mal, ob es auch einen Chor in Berlin gibt