Cover Drei Kameradinnen
„Drei Kameradinnen“ von Shida Bazyar, Kiepenheuer & Witsch

Ich bin ganz aufgeregt, habe gerade die letzte Seite gelesen und hoffe so sehr, ich kann meine Begeisterung für „Drei Kameradinnen“ in die richtige Form gießen. Spätestens seit dem ersten Drittel des neuen Romans von der 1988 (!) in Rheinland-Pfalz geborenen Autorin dämmerte mir, dass ich soeben ein Buch lese, welches es mit Sicherheit auf das Treppchen meiner Top 10 dieses Jahres schafft: Die Momentaufnahme des Alltags dreier junger, „nicht-weißer“ Frauen ist unglaublich fesselnd und aufwühlend, auch, weil sich die Protgonistin Kasih häufig aus der Ich-Perspektive in eine netflixhafte Meta-Ebene aufschraubt, aus der sie in direkter Ansprache zum Leser dessen Vorurteile geschickt entlarvt.

Wir lernen Hani, Kasih und Saya kennen, ohne ihre exakten biografischen Koordinaten zu erfahren, unter dem Stempel „Migrantinnen“ bleiben sie diffus ihrer Individualität beraubt. Wie die Freundinnen sich ständig als Misfits einer weißen Gesellschaft erleben, ist teilweise herzzerreißend. Sida Bazyar macht die Identität ihrer Protagonistinnen nie ganz transparent, aber ich vermute die Herkünfte der drei Freundinnen im arabischen, iranischen und westafrikanischen Raum. Jede erlebt eigene Erfahrung mit Alltagsrassismus, jede ist auf ihre Art lost und versucht, sich aus ihrem „erste Einwanderer-Generation“- Haushalt in die weiße Gesellschaft einzufügen, mal rebellisch, mal überangepasst strebsam. Doch auch erstklassige Schulabschlüsse machen aus den jungen Frauen weder in der Selbst-noch in der Aussenwahrnehmung (chancen-) gleichberechtigte Twens. Diskriminierende Termine auf dem Arbeitsamt, feministische Selbstbestimmung in ungleichen Beziehungsstrukturen, Würdeerhalt bei rassistischen Anfeindungen, das allein sind interessant bespielte Themenfelder. Kasih beispielweise wird sich nach der Trennung von ihrem weißen Freund bewusst, dass sie nun nicht mehr Teil eines gesellschaftlich höchst willkommenen „attraktiven mixed couple“ mehr ist, sondern als alleinstehende Nicht-Weiße tatsächlich gesellschaftlich wieder das „Bedürftigen“-Muster bedient. Aber die Erzählung ist umso spannender, als dass sich der Beginn des Strafprozesses der NSU-Morde wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht, wie eine Bühne zur Darstellung einer verstummten Gesellschaft, die das Erstarken rechter Gesinnung ignoriert, und brillant zu einem angedeuteten Terror-Racheakt führen, der als Rückschau aufgerollt wird. Hat sich eine der drei Kameradinnen als „Nazi-Jägerin“ radikalisiert? Die Szenerie ist ein bisschen „drüber“ – rauschhaft, trotzdem erfahre ich so viel von einer Gegenwart, die mir nur teilweise fremd ist, lerne eine Gesellschaft kennen, deren Codes ich nicht vollständig entschlüsseln kann, die sich jedoch als überhöhtes Extrakt meiner eigenen Lebenswirklichkeit darstellt. Viel Stoff zum Weiterdenken, auch über mich selbst. Ich bin definitiv kein alter weißer Mann, aber vielleicht der Counterpart: Eine privilegierte weiße Frau, die sich allzuoft als „Auskennerin“ definiert – fälschlicherweise.