Nach dem geschäftigen Sommerleben wird es für viele von uns wieder ruhiger, geordneter und – deutlich leerer. Semesteranfang, Ausbildungsbeginn, wenn sich ein Familienmitglied auf eigene Beine stellt, ist das auch für den Rest der Familie eine neue Situation. Ich selbst bin seit einigen Wochen Betroffene des „ Empty Nest“-Syndromes … und das auch noch als Mutter eines Einzelheinzchens. Eine Freundin, die ihren Ältesten vor einigen Jahren ziehen liess, versicherte mir, es fühle sich in den ersten Monaten exakt wie Liebeskummer an. Das konnte ich nicht so recht nachvollziehen.
Nun ist es auch bei mir soweit und die Entscheidung, dass mein Sohn Haus und Stadt verlässt, fiel recht kurzfristig. Also war erst einmal Hektik angesagt, gerne halfen wir bei Wohnungssuche, Erstausstattung, Umzug. Und jetzt? Ruft er nicht an. Lässt mich im Unklaren, wie es ihm geht. Finde ich vereinzelt T-Shirts in der Wäsche, die liegen blieben, und die ich sorgsam wasche, zusammenfalte und andächtig in ein Extrafach räume. Ok. Ist schon ein bisschen so wie Liebeskummer. Auch, wie ich mit der (offensichtlich) einseitigen Sehnsucht umgehe. Einfach mal so anrufen? Vielleicht sogar jeden zweiten Tag? Besser nicht. Denn – hey, es ist alles gut so, wie es ist. Nämlich – gesund. Ich versuche, mich in mein 19-jähriges Ich zurückzuversetzen. Damals habe ich quietschvergnügt mein behütetes Kinderleben gegen Freiheit und (vermeintliche) Unabhängigkeit eingetauscht. Ob meine Eltern sich Sorgen um meine Alltagsbewältigung in der fremden Großstadt gemacht haben, war mir doch schnuppi. Geldknappheit, Wäscheberge oder der Hunger nach heimischen Soulfood haben mich dann schon regelmäßig wieder in mein Elternhaus gespült. Aber natürlich weder sichtbar dankbar noch gesprächig. Eher gelangweilt und abwesend (und es gab noch nicht einmal scheinbar mit der Hand verwachsene Smartphones). Ich habe damals den Beginn meines neues Lebensabschnittes ausschliesslich von meinem persönlichen Standpunkt aus betrachtet. Einfach, weil alles so aufregend war und zum Sich-Finden dazugehört, sich (eine Zeitlang) als Zentrum der Welt zu sehen.
Und genau so sollten wir auch unsere Kinder ziehen lassen. Die machen das schon. Ob wir darüber traurig sind oder ob uns zeitweise die Stille im Haus irritiert, ist ihnen egal und muss bestimmt nicht kommuniziert werden. Eine Freundin von mir hat mit ihrer erwachsenen Tochter eine feste wöchentliche Telefonverabredung getroffen. Als verankerte Regel verhindert dies einerseits ungeliebte Überpräsenz, andererseits das quälende Gefühl, ausgeschlossen zu werden. Vielleicht eine gute Lösung für die Zukunft, denke ich, momentan halte ich mich zurück und gewöhne mich an eine Art „Stand by“-Modus. Auch für mich beginnt ein neuer Lebensabschnitt, aber dies ist doch wirklich mehr Chance als Drama. Und dass ich in diesem Zusammenhang an Drama denke, geschieht nur, weil ich bei der Recherche auf „Empty Nest – Selbsthilfegruppen“ gestoßen bin. Selbsthilfegruppen? Leute, nun lasst mal die Kirche im Dorf. Unser Kind ist schließlich nicht entwurzelt, sondern quasi im Flugtauglichkeitstraining für ein eigenverantwortliches Leben. Und daher dürfen wir unsere Energie nun für unser individuelles Abnabelungs-Training einsetzen: Beispielsweise beim Kramen in alten Familienfotos in Erinnerungen schwelgen und endlich das langverschobene Fotobuch-Projekt beginnen. (Dieses dann bitte NICHT dem Kind unverzüglich als Paket hinterherschicken, mindestens bis Weihnachten warten!) Und ist es nicht herrlich, sich um 18 Uhr ins Kino zu verdrücken, allein, mit Freundinnen oder dem Liebsten, endlich mal wieder durch Galerien und Buchhandlungen zu schlendern, ein Wochenende zu vertrödeln und den Wochenend- Großeinkauf ausfallen zu lassen (Spezi, Hackfleisch, Lasagne – adieu!). Denn tatsächlich bekämpft man aufkommende Empty-Nest-Melancholie mit genau den gleichen Gegenmitteln wie Liebeskummer: Mit ausgiebiger, großzügiger Me-Time!
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