Seltsamerweise wähle ich schon sehr häufig Romane, die ein ähnliches Setting bedienen. Familiengeheimnisse, die änlässlich eines Jubiläums/Geburtstag des Patriarchen oder am Krankenbett/Grab desselben ans Tageslicht kommen und die dysfunktionalen Verflechtungen innerhalb mehrerer Generationen beleuchten. Klar, ich gehöre zum letzten Jahrgang der Baby-Boomer und lese hauptsächlich zeitgenössische Literatur. Und wie alt sind dann häufig die Autoren? Eben.
Der Roman „Inneres Wetter“ von Elke Schmitter handelt also von drei Geschwistern, die sich anläßlich des Geburtstages ihres Vaters zu einem Familientreffen verpflichtet fühlen. Die Organisation des Festtages lässt den Leser in den Alltag und die Befindlichkeiten der Drei blicken, wir erfahren von fragilen Ehefragmenten, verirrten Selbstverwirklichungspfaden und systemisch verankerter Aufgabenverteilung. Eine schöne Erzählmelodie und amüsante Nebenstränge geben der Geschichte die richtige Würze, um dranzubleiben.
Da ist die älteste Schwester, Huberta, eine Ethnologin Mitte fünfzig, die ihr Studium nie beendet hat, nun in prekären Verhältnissen lebt, sich mit Minijobs über Wasser hält und ihre Situation gegenüber der Familie zu verbergen versucht.
Da ist Bettina, seit Jahren mit dem älteren Johannes verheiratet, stets besorgt um die inzwischen erwachsene Tochter, gut vernetzt , ihr Mann nennt sie „Kommunikationsjunkie“ und etwas eingefahren in ihrer Ehe, im guten Leben, im Alltag einer unbeschwerten Bürgerlichkeit .
Da ist das jüngste Geschwister, Sebastian, der brave und etwas ungelenke kleine Buder, dessen Ehefrau Mora mit ihrer spröden Exotik das Regelwerk der Familie irritiert.
Und da sind Sätze wie diese, die den Unterschied machen zu vergleichbaren Romanschauplätzen:
„Erst im Laufe der Jahre dämmerte ihr, dass die Neurose in diesem Land an der familiären Tagesordnung ist; die Auseinandersetzung mit den Eltern therapeutisch gehätschelt wird bis ins Greisenstadium der Mütter und Väter hinein. Äußerlich dezimiert bis zum dürren Minimum des Anstands – gemeinsame Taufen, Besuche zu Weihnachten und zu den runden Geburtstagen -, sind die Beziehungen innerlich verkeilt und äußerlich porös, jedenfalls in der gebildeten Mittelschicht, mit der sie Umgang pflegen und wo es nicht selten vorkommt, dass bei der letzten Flasche Wein mit heiligem Ernst erörtert wird, wie diese verrutschte Bemerkung und jenes verunglückte Geschenk bei einem Besuch „zu Hause“ wiedergutzumachen sind.“
Elke Schmitters Sprache ist so fein und ausgewogen, dass die Lektüre ein wahrer Genuss ist und dieser schmale Band von 200 Seiten mir zwei Nachmittage lang eine echte Freude war.
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