Mit ihrem aktuellen Roman „Über Menschen“ knüpft Juli Zeh an den Erfolg von „Unterleuten“ an und erfindet ein neues Genre
In ihrem neuen Roman „Über Menschen“ lässt Juli Zeh ihre Protagonistin Dora samt ihrer Mischlingshündin Jochen (hoppla, schon stolpert sich´s humorig über die Genderthematik) überstürzt in ihre letztlich aus einem romantischem Kurzschluss erworbene Immobilie übersiedeln. So wiederholt sie ihr Erfolgsrezept des Vorgängers „Unterleuten“ aus dem Jahr 2016, denn wieder begleiten wir eine Berliner Großstadtpflanze bei ihrer Umtopfung in ein Dorf in der brandenburgische Provinzsteppe.
Und schon ist man mitten im Pandemiealltag des Sommers 2020. Dora, die erfolgreiche Werbetexterin mit ach-so-typisch wokem Lifestyle und Hipster-Lebensgefährten, sieht ihr Leben plötzlich unter dem Corona-Brennglas dahinschwinden. Der Liebste mutiert vom Öko-Aktivisten zum Lockdown-Hardliner, das Home Office wird zum Großstadtkäfig – und Dora wählt die Flucht ins brandenburgische Bracken, um sich im wahrsten Sinne des Wortes zu erden. Während sie sich ans Roden ihres sanierungsbedürftigem Haus und Hof macht, erscheint nach und nach weiteres Romanpersonal auf der Bildfläche: Der einschlägig vorbestrafte Dorfnazi, das vernachlässigte Kind, der regredierte Nachbar, die schwulen Aussteiger mit halblegalem Blumenhandel, die überforderte alleinerziehende Schichtarbeiterin und ein paar andere Randfiguren mehr. Übersichtlicher als in „Unterleuten“, ausschließlich aus der Perspektive Doras, beschreibt Juli Zeh diese Menschen nahbarer, liebevoller, und trotzdem fehlt ihrer Erzählung jegliche Poesie.
Juli Zeh überzeichnet die Klischees beider Lebenspole, Berlin und Bracken, derart, dass man die Dialoge und Handlungen nahezu hellseherisch erahnt. Rasch jedoch entwickelt sich ein gewisser Sog, mir ging es beim Lesen wie an manchen Sonntagabenden, wenn man den „Tatort“, der halbwegs originell begann, brav weiterschaut, obwohl er letztendlich keinen befriedigenden Genuss verspricht. Auch in „Über Menschen“ erfreue ich mich an einigen Spitzen, die zudem einige eigene widersprüchlichen Lifestyle-Glaubenssätze entlarven. Die nahezu synchron zur Gegenwart erzählte Corona-Situation festigt die Erzählspannung.
Gut 400 Seiten verknuspern sich dann doch sehr schnell, am Ende ist der Nazi zwar eventuell geläutert, aber ganz sicher tot, Dora zwar pleite, aber im Dorf wohlwollend integriert – und Corona lähmt nach wie vor das gesamte Geschehen. Einzig die zur ewigen Dürre verdammte brandenburgische Landschaft wird durch einen wortgewaltig beschriebenen Regen erlöst, der für einen bildhaft spektakulären Showdown am offenen Grab sorgt.
Dieser Pageturner ist literarisch eher eine Enttäuschung und ich werde die Vermutung nicht los, dass Juli Zeh parallel zum Schreiben bereits die ZDF-Drehbuchautoren gebrieft hat: Denn „Über Menschen“ wird garantiert ein Zuschauermagnet – als Corona-Mehrteiler für die Weihnachtstage!
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