Seit Jahren stand ein Besuch auf Deutschlands einziger Hochsee-Insel auf meiner Wunschliste
Als am ersten Wochenende nach der Corona-Isolation der Halunder Jet von den Landungsbrücken wieder Kurs auf Helgoland nimmt, gehen wir an Bord. Der Katamaran braucht für die knapp 150 Kilometer lange Distanz zwischen Hamburg und Helgoland viereinhalb Stunden, die wie im Flug vergehen. Schon beim Verlassen der Landungsbrücken zieht es mich nach draußen und ich genieße die Aussicht vom Oberdeck. Wir passieren den Museumshafen und Övelgönne und freuen uns über unseren Nachbarn Olav, der uns vom Balkon unseres Hauses am Blankeneser Segelclub mit einem Laken winkend eine gute Fahrt wünscht.
Die meiste Zeit verbringen wir auf dem Freideck, nur zum Frühstück nehmen wir auf unseren superbequemen Sitzen im Salon Platz. Durch riesige Panoramascheiben und auf mehreren Bildschirmen haben wir die Route immer vor Augen. Wedel, Cuxhaven, die Vogelinsel Trischen, große und kleine Schiffe in der Nordsee, ein erwartet schöner „Ausguck“. Aber es gibt auch Unerwartetes: Vor der Deutschen Bucht liegen, aufgereiht wie auf einer Perlenschnur, mächtige Kreuzfahrtschiffe auf Reede. Corona hat diese schwimmenden Hotelkolosse quasi zur dead zone erklärt. Gespenstisch – wir zählen mindestens sechs Riesen.
Romantik buchstabiere ich anders…
Die bunten Hummerbuden, die den Weg in die Helgoländer „Innenstadt“ säumen, habe ich schon auf vielen Postkarten bewundert – live sehen sie nicht mehr ganz so malerisch aus. Je mehr wir uns dem winzigen Zentrum nähern, desto trüber wird meine Stimmung. Puh, ist das häßlich hier. Die schlichten Bauten aus den Fünfzigerjahren sind mit allerlei gruseliger Dekoration versehen und die steuerfrei angepriesenen Waren sehen ebenso wenig einladend aus. Recht unfreundlich werden wir bei der obsoleten Touristenanmeldung in unser Hotel geschickt. Nun ja. Ich wollte hier hin. Warum noch mal? Das Hotel Helgoländer Klassik, übrigens eines der gehobenen Kategorie, kann sich nicht mit corona-bedingten Restriktionen rausreden: Es ist einfach nicht schön! Hier hat man versucht, aus der Not eine Tugend zu machen und die katastrophale Substanz mit einem „Fünfzigerjahre-Konzept“ zu pimpen. Leider kommt der Mief durch…und damit ist es nur dekoriertes Elend, schimpfe ich.
Ein Sprung in die Geschichte
Aber gibt es denn gar nichts Schönes hier? Und warum eigentlich nicht? Nun ist unsere Neugier geweckt und wir erforschen die Geschichte Helgolands, seine Not- und seine Glanzzeiten. Und Schritt für Schritt mildert sich unser Blick auf dieses gebeutelte Inselchen: Beruft sich der Name zwar auf eine Erwähnung als „Heiligland“ in Schriften von 800 vor Christus, ist hier lange nicht viel Frommes geschehen. Seeräuber und Schmuggler, das waren wohl die häufigeren Besucher auf den Klippen, und die Insulaner mussten sich britische, dänische und deutsche Inbesitznahme gefallen lassen. Wirtschaftlich ging es der Insel lange erbärmlich, bis 1826 die Idee umgesetzt wurde, Helgoland als Seebad zu inszenieren. Und das klappt sogar – als Kaiser Wilhelm II. dann mit dem „Sansibar-Vertrag“ Helgoland im Tausch von Seepassagen vor Sansibar unter preußische Flagge nimmt, beginnt die erste Glanzzeit der Insel. Die währt kurz, denn schon gerät Helgoland als Seefestung im ersten Weltkrieg unter schweren Beschuss. Wir kennen alle den Lauf der Geschichte – der zweite Weltkrieg liess nicht lange auf sich warten. Nach 1945 gleicht Helgoland einem Trümmerfeld, ein riesiger Bombenkrater verändert seitdem noch heute die Landschaft . Dass die Alliierten die Insel den evakuierten Helgoländern wieder zusprachen, ist dem Schelmenstück eines Heidelberger Studenten zu verdanken. Erst nach 1950 beginnt die Rückführung der ehemaligen Bewohner, und 1952 wird nach Adenauers diplomatischen Verhandlungen die Bundesflagge auf Helgoland gehisst. Und das Fundament mancher Bausünde gelegt, füge ich im Stillen zu.
Schaut und hört – hier geben die Robben den Ton an
Jetzt wollen wir nur noch in die Natur und rüsten uns zu einem ausgiebigen Spaziergang über die Düne, die man mit dem Bördeboot-Shuttle erreicht. Das Wetter meint es richtig gut mit uns, und da es ungewöhnlich unbevölkert ist (die üblichen Touristenströme sind wegen der Covid 19- Awehrregeln ausgeblieben), umrunden wir die einsame Nord-Osthälfte. Und endlich sehe ich sie einmal live: Schon tauchen die ersten Seehund- und Robbenköpfe aus den Fluten auf, ich bin entzückt. Ein paar Hundert Meter weiter dann stoßen wir auf eine ganze Kolonie Kegelrobben, die sich am Strand sonnt, johlt, döst und paddelt. Es müssen mindestens zweihundert sein! Ja, dafür hat sich der Ausflug dann doch gelohnt. Mein Stimmungsbarometer schnellt in die Höhe und wir schlendern barfuß weiter, bis wir zum belebten Südstrand der Düne kommen. Hier stehen bunte Apartmentbungalows, es gibt eine Reihe Strandkörbe und entspannte Urlauberfamilien, die ihre Sandburgen in respektvollem Abstand zu den Wildtieren bauen. Doch doch, so langsam erahne ich den Reiz dieser Insel.
Knieper, Lummenfelsen und ein Traumtag am Meer
Abends haben wir einen Tisch im ersten Haus am Platze gebucht, dem „Rickmers Galerie Restaurant“. Natürlich mindern die üblichen Corona-Auflagen ein bisschen die Behaglichkeit, aber man serviert uns eine Flasche Sancerre, meinen Lieblingswein, das ist schon mal bemerkenswert. Die Karte gibt sich innovativ, die Umsetzung ist wirklich okay. Mit Betonung auf okay. Und die Preise? Ich würde sagen, die Seeräubermentalität haben die Helgoländer definitiv noch in ihren Genen.
Am nächsten Morgen geht es um Punkt acht auf zum Oberland. Den Lummenfelsen kann man bequem per Fahrstuhl erreichen, die Treppenstufen sind allerdings auch keine sportliche Herausforderung. Wir werden für den frühen Anstieg belohnt, sind wir doch außer ein paar versprengten Joggern die einzigen Menschen, die sich hier die Morgenluft um die Nase wehen lassen. Am Vogelfelsen zu stehen und Hunderte? Tausende! brütender Basstölpel beobachten zu dürfen, ist wirklich unfassbar großartig.
Auch Trottellummen bewundern wir, kleine dunkle Vögel, die genau wie die Basstölpel echte Climbingtalente am Felsen sind. Herings- und Dreizehenmöwen umkreisen die Klippen, und auch wenn wir bislang keine passionierten Vogelbeobachter sind, hier bin ich wirklich fasziniert. Wir gehen den gut 4 Kilometer langen Klippenrundweg, passieren niedliche Schrebergärten und freuen uns auf das für 10 Uhr reservierte Frühstück. Nach dem traumhaften Morgenspaziergang sehe ich mit gnädigerem Blick auf das Ambiente und finde sogar das Dekor des Frühstücksraumes mit Retro-Plakaten der Helgoländer Fährflotte ganz ansprechend. Die zweite Überfahrt zur Düne bringt uns direkt zur Strandkorbvermietung. Wir richten uns gemütlich ein, die Sonne strahlt – es hat tatsächlich was von „Ferien auf Saltkrokan“.
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